Grundsätzliches nach dem „Architektenrecht“ der Herren Gauch, Tercier und Schumacher, unter Einbezug der SIA, des OR und des ZGB:
Die Kostenangaben des Architekten sind nur (aber immerhin) Prognosen der Kosten zukünftiger Leistungen, welche meist von Dritten (Unternehmern etc.) erbracht werden. Den Schätzungen und selbst dem Kostenvoranschlag wohnt ein wesenseigenes Unsicherheitselement inne. Deshalb sieht z.B. die SIA 102 unterschiedliche Genauigkeitsgrade der verschiedenen Kostenangaben des Architekten vor.
Aus diesem Grund habe ich gefragt, in welcher Phase (Baumassenermittlung, Vorprojekt, Baugenehmigungsprojekt, Ausführungsprojekt) Dir der Architekt den KV vorgelegt hat – daraus wird der Genauigkeitsgrad der Kostenschätzung abgeleitet. Noch andere zwei Fragen: hast Du das Architektenhonorar vollumfänglich bezahlt? Weißt Du, ob der Architekt eine Berufshaftpflichtversicherung hat?
Weiter nach Gauch, Tercier und Schumacher:
Ist die SIA 102 übernommen worden, darf sich der Architekt nicht darauf verlassen, dass der Bauherr in der SIA Ordnung den Genauigkeitsgrad selber nachschlägt, sondern jener muss von sich aus den Bauherrn über das Risiko der Mehrkosten aufklären, insbesondere auf den Genauigkeitsgrad ausdrücklich aufmerksam machen. Ziel dieser Aufklärungsarbeit des Architekten ist, dass der Bauherr in voller Kenntnis der Sachlage, d.h. des Risikos von Mehrkosten zufolge der wesenseigenen Ungenauigkeit der Kostenangaben, seine weiteren Entscheide fällt, z.B. indem er das Bauprojekt reduziert, um keine Mehrkosten innerhalb der Toleranzgrenze zu riskieren, welche ohne Kostenreduktion bestehen würde.
Aus der Pflicht zur Einhaltung des Kostenvoranschlages folgt eine dauernde Überwachungspflicht. Bei jeder einzelnen Arbeitsvergebung muss der Architekt den Bauherrn darauf aufmerksam machen, ob der Werkpreis im Rahmen des Kostenvoranschlages liegt. Zeichnen sich Kostenüberschreitungen ab, hat der Architekt sofort Abklärungen zu treffen und den Bauherrn unverzüglich zu orientieren. Der Bauherr soll sich in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden können, ob er die Kostenüberschreitung in Kauf nehmen, das Bauvorhaben fallen lassen oder Einsparungen in anderen Positionen erzielen will.
Äußert der Bauherr Abänderungswünsche, so muss ihn der Architekt über die finanziellen Folgen aufklären, damit der Bauherr allenfalls auf die Abänderung verzichten kann.
Der Architekt kann seine Pflichten auf verschiedene Weise, durch vertragswidriges Verhalten, verletzen: wenn er die mutmaßlichen Baukosten unsorgfältig schätzt, die Kosten nicht überwacht, den Bauherrn über die Unsicherheitsfaktoren der Kostenangaben und über die finanziellen Folgen von Änderungswünschen des Bauherrn nicht aufklärt etc.
Falsche Kostenangaben des Architekten können beispielsweise die folgenden Ursachen haben: Planfehler, falsches Kubikmeter- Ausmaß für die kubische Berechnung, Multiplikation des richtigen Bauvolumens mit einem unrealistischen Kubikmeter- Ansatz, vergessene Leistungsposition, Lücken oder falsche Masse in einem Leistungsverzeichnis, keine Berücksichtigung der wahrscheinlichen Bauteuerung, Rechnungsfehler etc.
Der Beweis der Vertragsverletzung, insbesondere die Toleranzgrenze
Die Beweislast
Die Vertragsverletzung, z.B. die unsorgfältige Erstellung eines Kostenvoranschlages, ist vom Bauherrn zu beweisen (Art. 8 ZGB). Ebenfalls dem Bauherrn obliegt es, den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem von ihm geltend gemachten Schaden zu belegen. Beispiel: Der Bauherr hat zu beweisen, dass eine massive Kostenüberschreitung auf die mangelnde Abklärung des Baugrundes durch den Architekten zurückzuführen ist und dass er den Bau nicht begonnen hätte, wenn er rechtzeitig um die zusätzlichen Kosten für die Pfählung gewusst hätte (in Deinem Fall hätte man Einsparungen bei anderen Positionen, evtl. schon bei der Erfassung der Baumasse, tätigen können oder sollen).
Der Anscheinsbeweis
Da dem Bauherrn zwangsläufig vieles verborgen bleibt, was der Architekt tut oder unterlässt, kann von ihm kein absolut sicherer, direkter Beweis der Vertragsverletzung gefordert werden. Meistens genügt der Anscheinsbeweis, d.h. der Beweis der hohen Wahrscheinlichkeit einer Vertragsverletzung. Bestimmte, erwiesene Tatsachen lassen z.B. den Schluss zu, dass sie höchstwahrscheinlich auf eine bestimmte Ursache zurückzuführen sind. Der Zweifel ist zwar nicht ausgeschlossen, erscheint aber nach den Erfahrungen des Lebens nicht als berechtigt. Beispiel: Aus dem großen Ausmaß einer Kostenüberschreitung wird der Schluss gezogen, dass diese nicht anders als mit einer unsorgfältigen Erfassung und Überwachung der Kosten durch den Architekten erklärt werden kann.
Der Anscheinsbeweis bewirkt keine Umkehrung der Beweislast. Die im Anscheinsbeweis enthaltene Vermutung ist so lange beweiskräftig, als nicht Umstände nachgewiesen sind, welche es als unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass sich der vermutete typische Kausalverlauf im betreffenden Einzelfall tatsächlich abgespielt hat. Derjenige, der durch einen Anscheinsbeweis belastet wird, kann diesen entkräften, indem er Tatsachen beweist, welche Zweifel an der Richtigkeit der Schlussfolgerung des Anscheinsbeweises erwecken. Gelingt dies, lebt die volle Beweislast wieder auf. Beispiel: Der Architekt weist nach, dass der Bauherr Abänderungen verlangte, welche die Baukosten verteuerten und darum wusste.
Ein Anscheinsbeweis kann auch mit einem anderen Wahrscheinlichkeitsbeweis entkräftet werden. Beispiel: Jede Kostenschätzung ist in ihrem Wesen gemäß mit Unsicherheitsfaktoren behaftet, so dass nach dem typischen Kausalablauf eine geltend gemachte Kostenüberschreitung ganz oder teilweise auf diese wesenseigene Ungenauigkeit der Kostenschätzung zurückzuführen ist.
Zur Toleranzgrenze:
Die Toleranzgrenze beruht auf der Lebenserfahrung, dass Kostenprognosen wesensgemäß mit Unsicherheitsrisiken behaftet sind und dass deshalb nicht jede Kostenüberschreitung den Anschein einer unsorgfältigen Kostenerfassung bzw. Kostenüberwachung des Architekten zu begründen vermag. Die genaue Einhaltung des Kostenvoranschlages ist der Natur der Sache nach kaum möglich (BGE 28 II 546), weshalb der Architekt mangels spezieller abweichender Vereinbarung nicht für die ziffernmäßig genaue Einhaltung seiner Kostenberechnung verantwortlich ist (BGE 28 II 543).
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Zugleich stellt die Toleranzgrenze den Anscheinsbeweis dafür dar, dass Kostenüberschreitungen, soweit sie die Toleranzgrenze übersteigen, auf Vertragsverletzungen des Architekten zurückzuführen sind, und dass dieser für die Mehrkosten oberhalb der Toleranzgrenze haftet. Die Toleranzgrenze ist auch eine Vermutung der (objektiven) Vertragsverletzung, beinhaltet jedoch weder eine Vermutung des Verschuldens noch des Schadens.
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Die Toleranzgrenze ist in beiden Richtungen stets nur, aber immerhin ein doppelter Anscheinsbeweis. Sie deutet „nach unten“ auf keine Vertragsverletzung und weist „nach oben“ auf ein vertragswidriges Verhalten des Architekten hin. In beiden Richtungen kann der Anscheinsbeweis zerstört werden. Der Bauherr kann einerseits beweisen, dass Mehrkosten unterhalb der Toleranzgrenze durch Vertragsverletzungen des Architekten (z.B. durch eine Weisungsabweichung, einen Planfehler etc.) verursacht worden sind und dass der Architekt für diese Mehrkosten einzustehen hat, obwohl sie unterhalb der Toleranzgrenze liegen. Andererseits kann der Architekt den Anscheinsbeweis der Toleranzgrenze entkräften, indem er nachweist, dass auch die Mehrkosten außerhalb der Toleranzgrenze durch Umstände (z.B. Planänderungen, außerordentliche Verhältnisse etc.) verursacht worden sind, welche nicht auf Vertragsverletzungen des Architekten zurückgeführt werden können.
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Da die Toleranzgrenze nur einen (zerstörbaren) Anscheinsbeweis darstellt, ist sie kein „Freibrief“ für Fehler des Architekten. Sie deckt nur Fehlerquellen ab, welche außerhalb des Einflussbereiches des Architekten liegen. Sie hat ihren Grund ausschließlich in der Ungenauigkeit, welche jeder Kostenprognose naturgemäß anhaftet. Die Toleranzgrenze kann deshalb nicht dazu missbraucht werden, den Architekten von der Haftung für eigene Fehler zu befreien. Für Vertragsverletzungen haftet der Architekt selbst dann, wenn der Kostenvoranschlag im Gesamten nicht überschritten oder sogar unterschritten wird.
Die Toleranzgrenze schützt den Architekten auch nicht vor der Haftung für vergessene Arbeitsgattungen, Lücken im Leistungsverzeichnis, Maßfehler etc. Hingegen haftet der Architekt nicht für untergeordnete Maßdifferenzen, Preisunterschiede, zusätzliche Kosten aufgrund notwendiger, detaillierter Ausführungsanweisungen der Bauleitung etc.
Dass die Toleranzgrenze nicht als Haftungsbeschränkung zu Gunsten des Architekten missbraucht werden kann, wird schon dadurch gewährleistet, dass sie bloß ein Anscheinsbeweis ist, welcher durch Gegenbeweis zerstört werden kann. Jeder Partei ist die Analyse und der Beweis der einzelnen, konkreten Ursachen von Kostenüberschreitungen gestattet.
Die vereinbarte Toleranzgrenze
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Die übliche Toleranzgrenze (z.B. von 10% für Neubauten) kann von den Parteien durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung abgeändert werden.
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Die übliche Toleranzgrenze kann auch durch Übernahme vorformulierter Vertragsbedingungen, welche andere Genauigkeitsgrade enthalten, abgeändert werden. Die SIA 102 sieht die folgenden Genauigkeitsgrade vor: Für die Grobschätzung der Baukosten + 25%, für die Schätzung der Baukosten + 20%, und für den Kostenvoranschlag die üblichen + 10%.
Sofern die Parteien nichts anderes festlegen, sind vereinbarte Toleranzgrenzen keine Garantien, auf die sich der Bauherr berufen könnte, sondern funktionieren gleich wie die in Lehre und Rechtssprechung anerkannten Toleranzgrenzen im Sinne von doppelten Anscheinsbeweisen. Dies bedeutet, dass auch vereinbarte Toleranzgrenzen durch Gegenbeweis in die eine oder andere Richtung entkräftet werden können.
Ende der Auszüge aus dem „Architektenrecht“ von Gauch / Tercier, Schumacher
In Deinem Fall heißt das konkret, dass Du diese verschuldete Baukostenüberschreitung beweisen musst, und zwar anhand einzelner Positionen nach NPK (Submissionen, Devis) – eine Ameisenarbeit, die bereits Bestandteil Deiner ersten Klage hat sein müssen. Weder Richter noch Jurist beschäftigen sich mit der Frage, warum denn dort mehr Grundputz hingekommen ist oder warum jetzt der Aushub hat anders erstellt werden müssen. Außerdem, wie Du in Deinem Beispiel angibst – rein wegen der Änderung der Böschungsneigung sind diese Mehrkosten in Bezug auf die Aushubarbeiten purer Unsinn. Aber Du hast ja alle Verträge mit den Handwerkern / Unternehmern mit den dazu gehörenden Devitexten und Ausmaßen. Dazu hast Du die effektiven Ausmaße, die in der Rechnung erfasst werden. Diese einzelnen Positionen vergleichst Du miteinander unter Einbezug des oben erwähnten Textes.
Warum ist Dein Anwalt abgeblitzt? Hattest Du sowohl bei der Wahl des Architekten, als auch bei der Wahl Deines Anwaltes eine unglückliche Hand? Wären alle Mehrkostenpositionen seriös erfasst worden, so dass sich der Architekt nicht mehr hätte raus reden können, sähe ich ein „Abblitzen“ vor Gericht / Friedensrichter als eher unrealistisch, denn die von Dir erwähnte Kostenüberschreitung ist jenseits der erwähnten Toleranzen. Welchen Kubikmeter- Preis hatte er bei der Kostenschätzung vor der Baueingabe genommen?
Einen schönen Tag an alle (die es bis hierhin geschafft haben)! bud.