ZGB Art. 684: Negative Immissionen / Aussicht durch Baumhöhe entzogen

Ich vermute, was Du fragen willst:

Lies Art. 684 genau: "Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht"

Da es ortsüblich sein dürfte, dass es Bäume hat und dass Bäume grösser werden, muss man Gehölzschatten genau wie fremde Blätter in einem gewissen Umfang tolerieren. Wieviel das ist, entscheidet im Streitfalle der Richter.

Wenns bloss die Aussicht ist, dürfte nichts zu machen sein; es gibt kein Recht auf Aussicht und ein Hindernis zwischen der Wohnung und dem Matterhorn oder Genfersee stellt durch seine blosse Präsenz noch keine Einwirkung im Sinne des Gesetzes dar.

Die kantonalen und kommunalen Bauordnungen schreiben Mindestgrenzabstände für Gehölze vor; der Anspruch auf Beseitigung verjährt aber recht schnell und weil manche Bäume eine Rückschnitt schlecht vertragen und es auch noch Baumschutzgesetze gibt, kann der Fall recht kompliziert sein. Wenn Nachbars Gehölze z.B. eine Solaranlage sehr beeinträchigen, hat man vermutlich bessere Karten.

 
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Vielen Dank für die Antwort, aber seit 2009 gibt es einen BGE, der die Seesicht schützt.

http://www.baumpflege-schweiz.ch/pdf/pdf_rechtliches/bgu5a415_2008.pdf

Beeinträchtigen die von einem Grundeigentümer gesetzten Pflanzen die Aussicht eines Nachbars, obwohl sie den kantonalen Abstandsvorschriften genügen, so kann gemäss neuster Rechtsprechung des Bundesgerichts ein bundesrechtlicher Schutz auf Aussicht ausnahmsweise bejaht werden. Dies hat zur Folge, dass die störenden Pflanzen zurückgeschnitten werden müssen.

Das höchste schweizerische Gericht hält in seinem neuen Entscheid fest, dass zu den negativen Immissionen nicht nur der Entzug von Licht oder Schattenwurf zählt, sondern ausnahmsweise auch das Verstellen einer besonders schönen Aussicht in den Anwendungsbereich von Art. 684 ZGB fallen kann. Der nachbarrechtliche Immissionsschutz wurde im konkreten Fall mit der Begründung bejaht, die Wohn- und Lebensqualität sei durch das Versperren der Aussicht in drastischer Weise beeinträchtigt worden. Sodann sei auch zu berücksichtigen, dass das Quartier beziehungsweise die Wohnlage spezifisch durch die atemberaubende Seesicht geprägt und das Grundstück durch deren Verdecken geradezu seiner Einmaligkeit beraubt worden sei.

 
In der Urteilsbegründung steht, dass es um ein "durch die spektakuläre Aussicht geprägtes" Wohnquartier geht. Die Ansicht, Aussicht des Wohnungsinhabers auf was auch immer sei prinzipiell zu schützen, ist deshalb pauschal nicht gegeben. Zugersee-Goldküste ist eben nicht Egerkingen oder Birsfelden.

Zudem hat der Unterlegene im Bundesgerichtsurteil versucht, eine hochgewachsene Thujahecke zu erhalten, die angesichts der Wohnlage und der Tatsache, dass die störenden Gehölze auf Landwirtschaftsboden stehen, nicht als ortstypisch eingestuft wurde - die Hochstamm-Obstbäume wurden hingegen, da für Landwirtschaftsland typisch, im Obergerichtsurteil von der Rückschneidepflicht ausgenommen. Im Urteil ist ebenfalls festgehalten, dass der Zweck des Sichtschutzes, den die störende Hecke erfüllt, auch anders erreicht werden könnte, ohne die Aussicht des Nachbarn zu beeinträchtigen.

Man wird also nicht pauschal davon ausgehen können, dass alles, was auf fremdem Land vor der Aussicht steht und einem nicht gefällt, vom jeweiligen Besitzer pauschal zurückgeschnitten oder entfernt werden muss. Insbesondere wird man nicht verlangen können, dass bestehende Baumhecken oder Waldstreifen gerodet oder kurz gehalten werden müssen, damit jemand etwas mehr Morgen- oder Abendsonne hat oder den Pilatus besser sehen kann.

Was man aus der Geschichte auch ersehen kann, und das ist eine eher schlechte Nachricht, ist, dass die unteren Gerichte solche lästigen Angelegenheiten gerne pauschal regeln (Erstentscheid des Kantonsgerichts: "alles abschneiden"), damit die Sache vom Tisch ist. Eine genauere und differenziertere Betrachtungsweise wird gewöhnlich erst durch Berufung erreicht. Ich finde es jedenfalls gut, dass man auch Gerichte dazu bringen kann, zwischen Thujahecken und Hochstamm-Obstgärten zu unterscheiden.

 
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Hallo Emil

Vielen Dank für die Ausführungen, aber ich wohne an der Seestrasse, wo Seesicht eine sehr wichtige Bedeutung hat und auch den Liegenschaftenwert erhöht. Die hohen Bäume des Nachbars vis a vis von mir (direkt am See) nützen niemandem. Zudem ist das kein Bauland, sondern unbebautes Grundstück, es wird vom Eigentümer nur als Garten und zum Grillieren etc. benutzt. Durchdie übermässig hohen Bäume wird unsere Seesicht massiv eingeschränkt.

 
(...) Die hohen Bäume des Nachbars vis a vis von mir (direkt am See) nützen niemandem. (...) Durchdie übermässig hohen Bäume wird unsere Seesicht massiv eingeschränkt.
Glaube ich ja gerne, aber Du musst den Nachbarn oder den Richter überzeugen, nicht mich. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Sache komplizierter ist und nicht nur aus Sicht des Betroffenen beurteilt werden wird. Mit dem oben zitierten BG-Urteil und einem guten Anwalt gelingt das möglicherweise.Deinem Anspruch steht der Anspruch des Eigentümers in der freien Nutzung seines Eigentums entgegen, wobei er den Sinn oder Zweck dieser Nutzung gegenüber Dritten nicht begründen muss.

Wenn jemand das Glück hat und es sich leisten kann, ein Stück Land an bester Seelage im Eigentum zu haben, kann er darauf gärtnern und grillieren, soviel er will - wenn er die nachbarrechtlichen Vorschriften einhält, ist das erst einmal ganz allein seine Sache.

Diese Eigentumsfreiheit wird z.B. dann stossend, wenn Spekulanten Wohnungen und Land zwecks Wertsteigerung aufkaufen, was ortsansässigen Leuten mit normalem Einkommen verunmöglicht, für Eigenbedarf zu bauen oder zu mieten, weil dadurch die Preise viel zu hoch werden. Das ist in vielen hochpreisigen Lagen der Schweiz der Fall. Auch die globale Spekulation mit Nahrungsmitteln gehört hierher.

Es gibt auch krasse Fälle von Rechtsmissbrauch, wo jemand hinter bestehenden grossen Bäumen Land gekauft und gebaut hat und diese dann beseitigen lassen wollte - das Gericht wird solche Angelegenheiten deshalb immer individuell prüfen. Tut es das nicht, wird der Unterlegene dies durch Berufung zu erzwingen suchen, s. oben.

Auf hoher See, am steilen Berg und vor Gericht ist man in Gottes Hand ...

 
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