Provisorische Analyse der gegebenen Problematik
Vertragsform
Werkvertrag zwischen Unternehmer und Besteller (Übereinstimmende Willensäußerung – Zum Abschluss eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäußerung der Parteien erforderlich. Sie kann eine ausdrückliche oder stillschweigende sein – Annahme des Antrages mittels E- Mail – siehe auch Art. 1 Abs. 1 und 2 OR), vermittelt durch den Architekten, jedoch ohne klare und eindeutige Beauftragung für die „Bauleitung“. Es wird demzufolge davon ausgegangen, dass der Besteller nicht durch eine Bauleitung vertreten gewesen ist.
Im Angebot: Ausführung laut SIA und OR (also sinngemäß auch nach Gauch – Der Werkvertrag)
Die Offert- Unterlagen (soweit ich dies beurteilen kann) hat der Unternehmer nach BKP / NPK erstellt, wenn diese der Architekt als Vertreter des Bestellers erstellt hätte, dann müsste das nachfolgend Erwähnte sinngemäß modifiziert werden.
Grundsätzlich läge dann das Problem der ungenügenden Definition der Ausschreibungsunterlagen beim Besteller, der den Architekten zur Rede stellen müsste.
Angebotspreis: 5 479,95 CHF netto inkl. MwSt. (nachfolgend nur „Angebot“)
Schlussrechnungsbetrag: 22 225,45 CHF netto inkl. MwSt. (nachfolgend nur „Abrechnung“)
Erkenntliche Gründe für die entstandenen Mehrkosten
Ramm- und Pressvortrieb, von Start- Grube aus (- 40 cm gegenüber Stahlrohr) – Vortriebsstrecke – Kanalisationsanschluss von Baugrube bis Kontroll- Schacht, für Vortriebsohr DN 200, Vortriebsstrecke m1 7,00 – Ausschreibung global 1 500 CHF – in der Schlussrechnung ist die Vortriebsstrecke global mit 1 700 CHF angegeben, bei weiteren Positionen in der Abrechnung findet die Angabe 12,6 m1 Vortriebsstrecke Erwähnung, diverse Positionen kamen gegenüber Angebot dazu (die Berechtigung derselben kann momentan weder nach- noch abgewiesen werden – vom Besteller nicht unterzeichnete Regie- Rapporte).
Position NPK 724.001 – Behinderungen im Vortriebsbereich, durchqueren von Holz, oder Findlingen, Moräne, Holz oder nicht erreichen von 2 m Vortrieb per Std. ebenso bei nicht Erreichen von 2 m Rohrentleerung per Std. Solche Mehraufwendungen werden in Gruppenstunden inkl. Maschinen und Geräte zusätzlich in Rechnung gestellt. Preisangabe mit LE (Gruppenstunden) per 400,- CHF.
Kein Mit- Einbezug in den Angebotspreis.
In der Abrechnung wird diese Position mit 10 600,- CHF beziffert.
Aufstellung der Mehrkosten gegenüber Angebot, sofern ersichtlich:
Position 724.001 mit 10 600 CHF,
zusätzliche Positionen gegenüber Angebot mit ca. 3 000 CHF,
Mehrlängen gegenüber Angebot ca. 3 145 CHF,
insgesamt Mehrkosten gegenüber Angebot: 16 745 CHF, d.h. 305% des Angebotes – unverhältnismäßige Kostenüberschreitung.
Zu SIA 118 (Ausgabe 1977)
Regiearbeiten:
Im Werkvertrag kann für einzelne bestimmte Arbeiten anstelle fester Preise (Art. 38 Abs. 1) vereinbart werden, dass sie in Regie auszuführen sind. Außerdem kann die Bauleitung dringliche Arbeiten zur Abwendung von Gefahr oder Schaden in Regie ausführen lassen. Soweit überblickbar, wird der mutmaßliche Umfang der Regiearbeiten im Leistungsverzeichnis oder in der Baubeschreibung angegeben.
Dies betrifft die Regie- Position NPK 724.001, wobei geschlossen werden kann, dass der „mutmaßliche Umfang der Regiearbeiten“ überhaupt nicht und nirgends erfasst worden ist, obwohl dies nach Stand der technischen Möglichkeiten zu erörtern möglich gewesen ist.
Zur Rapportpflicht:
Für Regiearbeiten erstellt der Unternehmer täglich einen von ihm unterzeichneten Rapport und hält ihn der Bauleitung (in unserem Fall dem Besteller, da keine Bauleitung beauftragt wurde) in der vereinbarten Anzahl zur Verfügung. Im Rapport werden Arbeiterzahl, Maschinenstunden, Arbeitsstunden, Materialverbrauch etc. sowie Angaben über die geleistete Arbeit aufgeführt.
Die Bauleitung (also der Besteller) prüft jeden Rapport unverzüglich und gibt dem Unternehmer die für ihn bestimmte Exemplare innert 7 Tagen unterzeichnet zurück.
In unserem Fall wurden die Rapporte dem Besteller nicht zur Unterzeichnung vorgelegt, somit wurde die Informationspflicht seitens des Unternehmers verletzt, wie dann weiter unten beschrieben wird.
Nun zu den Mehrkosten laut SIA 118:
SIA 118 Art. 56 – Vertrag mit Richtpreis
2 Werden die angegebenen Gesamtkosten unverhältnismäßig überschritten, so hat der Bauherr die Rechte gemäß Art. 375 Abs. 2 OR.
Zitat Art. 375 Abs. 1 OR – 25, überarbeitete Auflage:
Wird ein mit dem Unternehmer verabredeter ungefährer Ansatz (meine Anmerkung: da kein Pauschal- oder Globalpreis) ohne Zutun des Bestellers unverhältnismäßig überschritten, so hat dieser sowohl während als nach der Ausführung des Werkes das Recht, vom Vertrag zurück zu treten.
Zitat Art. 375 Abs. 2 OR – 25, überarbeitete Auflage:
Bei Bauten, die auf Grund und Boden des Bestellers errichtet werden, kann dieser eine angemessene Herabsetzung des Lohnes verlangen oder, wenn die Baute noch nicht vollendet ist, gegen billigen Ersatz der bereits ausgeführten Arbeiten dem Unternehmer die Fortführung entziehen und vom Vertrage zurücktreten.
Nun weiter zur Norm SIA 118;
SIA 118 Art. 56 – Vertrag mit Richtpreis
3 Erweist es sich bei der Ausführung der Arbeiten, dass die angegebenen Gesamtkosten (meine Anmerkung: in unserem Fall die Summe laut Angebot) voraussichtlich überschritten werden, so zeigt der Unternehmer dies dem Bauherr unverzüglich gemäß Art. 25 an.
Es wurde die Informationspflicht seitens des Unternehmers verletzt resp. nicht eingehalten, wie dann weiter unten beschrieben wird.
SIA 118 Art. 59 – Sonderfälle
1 Der Unternehmer hat Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung, falls außerordentliche Umstände, welche nicht vorausgesehen werden konnten oder welche nach den von beiden Vertragspartnern angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung hindern oder übermäßig erschweren. Solche Umstände können z.B. sein: Wassereinbrüche, Erdbeben, Sturm, Gasaustritte, hohe unterirdische Temperatur, Radioaktivität, einschneidende behördliche Maßnahmen, Störung des Arbeitsfriedens.
Die Sonderfälle laut SIA 118 treffen in unserem Fall nicht zu.
2 Über die Höhe der zusätzlichen Vergütung verständigen sich die Vertragspartner von Fall zu Fall; zu vergüten sind aber höchstens die nachgewiesenen tatsächlichen Mehraufwendungen. Kommt es zu keiner Verständigung, so setzt der Richter auf Klage des Unternehmers die zusätzliche Vergütung fest oder bewilligt die Auflösung des Vertrages (Art. 373 Abs. 2 OR).
Die „nachgewiesenen tatsächlichen Mehraufwendungen“ sind aufgrund der Unterlassung der Informationspflicht des Unternehmers nicht zu definieren. Somit können seine Mehrkostenforderungen als „subjektiv“ und für die Schlussrechnung als irrelevant erachtet werden, nichts desto trotz würde der Richter im Streitfall bemüht sein, einen Kompromiss- Betrag zu finden, der die nunmehr „geschätzten“ Aufwendungen des Unternehmers recht und billig decken würde.
Zu dieser Situation nehmen wir „Der Werkvertrag“ von Peter Gauch, 3. Auflage, zur Hilfe.
Die Herren Gauch und Tercier stellen mit ihren Auslegungen des OR und der SIA Normen in der Baurechtssprechung außerordentlich wertvolle und nützliche Grundlagen.
Nr. 666 – Gauch
Treibt der Unternehmer mehr Aufwand, als bei sorgfältigem Vorgehen für die vertragsgemäße Werksausführung erforderlich und genügend wäre, so hat er für den unnötigen Mehraufwand keinen Anspruch auf Vergütung. Der Werklohn bestimmt sich somit „nicht nach dem tatsächlichen Aufwand, sondern nach der Arbeit, dem Stoff und dergleichen, die bei sorgfältigem Vorgehen des Unternehmers zur Ausführung des Werkes genügt hätten“ (BGE 96 II 61).
Mehraufwand, der dem Unternehmer durch Annahmeverzug des Bestellers entsteht, ist jedoch zu vergüten.
Der Unternehmer hat mittels Eingabe seiner Offerte kund getan, dass der Kanalisationsanschluss von der „Baugrube“ bis zum „Kontrollschacht“ zum Angebotspreis von rund 5 500 CHF durch ihn erstellt werden kann – hier möchte ich nicht auf die gewählte Verfahrensmethode „Rammvortrieb“ und deren Sinn näher eingehen. Im Angebot sind m.E. sämtliche Positionen im genügenden Sinn erfasst, dass es für einen Bauunternehmer möglich sein sollte, sich die Aufgabenstellung realistisch vorstellen zu können. Außerdem hatte er die Möglichkeit, sich vor Ort ins Bild zu setzen, um mögliche Erschwernisse erfassen, definieren und im Angebot anzeigen zu können.
Da es sich um keinerlei Sonderfälle wie in SIA 118 Art. 59 beschrieben handelt, ist die Spanne der möglichen Mehrkosten generell bei 10% des Angebotspreises anzusetzen, wobei die Bandbreite der seitens des Bauherrn kostenpflichtigen Mehrkosten weiter unten näher präzisiert wird.
Die irreführende Position nach NPK 724.001, die in der Abrechnung fast mit 200% der Angebotssumme zu Buche schlägt, vermag in dieser Form nicht zu greifen, denn diese wurde entweder aus Absicht oder Unsorgfalt zu tief resp. überhaupt nicht in den Angebotspreis mit einbezogen.
Nr. 691 – Gauch
Das Verschulden des Unternehmers.
Die übermäßige Überschreitung des ungefähren Kostenansatzes stellt an sich keine Vertragsverletzung dar, die dem Unternehmer zum Verschulden gereichen könnte (unklar: Gautschi, N 2b und 11a zu Art. 375 OR). Indes kann die übermäßige Überschreitung darauf beruhen, dass der Unternehmer den Ansatz (das Angebot) aus Absicht oder aus Unsorgfalt zu tief angesetzt hat. Alsdann ist die Überschreitung vom Unternehmer verschuldet (Semjud 99, 1977, S. 413 f.). Der Unternehmer hat hiefür aus „culpa in contrahendo“ einzustehen (Nr. 323; Soergel, MünschKomm, N 14 zu § 650 BGB), nicht aus Art. 364 OR.
Macht der Besteller von seinem Herabsetzungsrecht Gebrauch (Art. 375 Abs. 2 OR), so wirkt sich das Verschulden des Unternehmers auf die Bemessung des Herabsetzungsbetrages aus – siehe Nr. 674).
Ergänzend zur Anzeigepflicht des Unternehmers:
Nr. 689 – Gauch
Die Anzeigepflicht des Unternehmers.
Im Unterschied zu § 650 Abs. 2 BGB und § 1170a Abs. 2 ABGB enthält das OR keine ausdrückliche Bestimmung, wonach der Unternehmer verpflichtet wäre, dem Besteller unverzüglich Anzeige zu machen, sobald eine übermäßige Überschreitung des Kostenansatzes zu erwarten ist. Auch lässt sich eine solche Anzeigepflicht nicht aus Art. 365 Abs. 3 OR herleiten. Doch gebietet die allgemeine Sorgfaltspflicht (Art. 364 Abs. 1 OR), dass der Unternehmer eine übermäßige Kostenüberschreitung, die für ihn erkennbar ist, ohne schuldhaftes Verzögern anzeigt.
Nr. 690 – Gauch
Verletzt der Unternehmer diese Anzeigepflicht und wird der Besteller dadurch geschädigt, weil er infolgedessen sein Rücktrittsrecht nicht frühzeitig ausüben kann, so hat der Besteller Anspruch auf Schadenersatz. Er ist so zu stellen, wie er stehen würde, falls ihm die Anzeige rechtzeitig zugegangen wäre.
Somit kommen wir zur eigentlichen Berechnung der zu erbringenden Leistungen des Bauherrn.
Nr. 673 – Gauch
Das Herabsetzungsrecht des Art. 375 Abs. 2 OR ist ebenfalls ein Gestaltungsrecht des Bestellers (wie in Nr. 669: Da jedoch der ungefähre Kostenansatz eine Geschäftsgrundlage ist – Nr. 656 – stehen dem Besteller die Rechtsbehelfe des Art. 375 Abs. 1 und 2 OR zu – BGE 98 II 304 -, wenn der Kostenansatz ohne sein „Zutun“ unverhältnismäßig überschritten wird).
Durch seine Ausübung wird der geschuldete Lohn angemessen herabgesetzt. Welcher Herabsetzungsbetrag „angemessen“ ist, hat der Richter im Streitfall nach seinem Ermessen (Art. 4 ZGB) zu entscheiden (KGr FR 1969, S. 78). Dabei sollte er sich leiten lassen von der Überlegung, dass der Unternehmer die Einhaltung des Kostenansatzes zwar nicht versprochen hat, die Überschreitung aber doch aus seinem Bereiche stammt; und dass umgekehrt das Werk für den Besteller ausgeführt wird, der überdies eine mäßige Überschreitung (bis zur Toleranzgrenze) zum vornherein (von Gesetzes wegen) schutzlos tragen muss. Aus dieser Überlegung rechtfertigt sich im Normalfall eine Risikoteilung in dem Sinne, dass der Werklohn herabgesetzt wird um die Hälfte der Summe, welche die Toleranzgrenze übersteigt. Wäre z.B. bei einem Kostenanschlag von 100 eine Überschreitung von bis 10% (Toleranzgrenze) gerade noch mäßig, beträgt die Überschreitung hingegen 300%, so beläuft sich der herabgesetzte Vergütungsbetrag nach der genannten Regel auf
300 - 10
(400 - ------------- ) = 255%
2
Nr. 674 – Gauch (teilweise)
Trifft den Unternehmer ein Verschulden an der übermäßigen Überschreitung, weil er den Kostenansatz aus Absicht oder Unsorgfalt zu niedrig angesetzt hat (Nr. 691), so kann der Werklohn bis zur Toleranzgrenze herabgesetzt werden.
Zusammenfassung:
Unter Berücksichtigung der Norm SIA 118 1977, des OR 25. überarbeitete Auflage sowie der Auslegungen von Gauch – der Werkvertrag, 3. Auflage – kann geschlossen werden, dass ein Anrecht des Unternehmers auf Bezahlung im Rahmen von 5 480 CHF + 10%, d.h. 6 028 CHF bis hin zu 5 480 CHF + 155%, d.h. 13 974 CHF besteht, und zwar deshalb, weil er über die anstehenden Mehrkosten den Besteller keinesfalls unterrichtet gehalten und ihm demzufolge keinerlei Behelfsmittel zu einer mindernden Lösung angeboten resp. ermöglicht hat. Eine solche übermäßige Kostenüberschreitung widerspricht zudem dem maßgeblichem Kriterium von „Treu und Glauben im Geschäftsverkehr“, und somit könnte auch davon ausgegangen werden, den Mittelweg zwischen den Beträgen von 6 028 CHF und 13 974 CHF zu wählen, um das offensichtliche Fehlverhalten des Unternehmers gebührend mit zu berücksichtigen.
Dieser Beitrag dient ausschließlich den Zwecken des Portals haus-forum.ch, ist kostenlos und somit unverbindlich. Weitere Verwendungen der Auszüge, vor allem der Zitate aus der Fachliteratur, sind zu unterlassen – diese dienen nur der besseren Veranschaulichung der gegebenen Problematik. Es kann auch möglich sein, dass die verwendete Literatur „veraltet“ ist und durch neuere Ausgaben ersetzt werden müsste – da es sich aber generell um Grundsätze der Baurechtssprechung handelt, nehme ich nicht an, dass dies gravierende Einschränkungen oder gar Fehlschlüsse zur Folge haben könnte.